Als Kind in den frühen 70er Jahren hatte man oftmals keine andere Wahl, am Wochenende war ein Volksmarsch angesagt. Genauer gesagt, ein Volksmarsch, mit der ganzen Familie. Wobei der Begriff „Marsch“ nicht wörtlich zu nehmen war. Die Volksmärsche waren vielmehr ausgedehnte Spaziergänge für Familien, organisiert von Städten und Vereinen. Ob man die damaligen Volksmärsche in der heutigen Zeit noch so nennen darf? Ich weiß es nicht.

Der Weg war das Ziel

Ein wesentlicher Aspekt der Volksmärsche war die Betonung auf dem Nicht-Wettkampf-Charakter. Das bedeutete, dass es keine Zeitmessung gab und jeder in seinem eigenen Tempo gehen konnte. Es gab keine Sieger, es gab nur Teilnehmer. Diese entspannte Atmosphäre ermöglichte es diesen, die Natur in vollen Zügen zu genießen, ohne sich unter Leistungsdruck zu setzen. Besonders beliebt für Volksmärsche waren Strecken, die durch Wälder, entlang von Flüssen oder durch hügelige Landschaften führten, da sie eine willkommene Abwechslung zum städtischen Alltag boten.

Die Veranstaltungen zogen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Altersgruppen an. Es war nicht ungewöhnlich, dass ganze Familien, Freundesgruppen oder Arbeitskollegen gemeinsam an einem Marsch teilnahmen. Diese gemeinsame Erfahrung stärkte das Gemeinschaftsgefühl und förderte den Austausch zwischen den Teilnehmern. Oft entstanden dabei Freundschaften, die weit über die Veranstaltung hinaus hielten.

Für das leibliche Wohl war gesorgt

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Verpflegung entlang der Strecke. An den Kontrollpunkten wurden nicht nur Stempel verteilt, sondern auch Erfrischungen angeboten. Von selbstgebackenem Kuchen über belegte Brote bis hin zu kühlen Getränken – die Verpflegungsstationen boten alle paar Kilometer Gelegenheit für eine kurze Verschnaufpause und einen Plausch mit anderen Wanderern. Wir als Familie hatten immer einen vollgepackten Rucksack mit Kartoffelsalat und Frikadellen dabei, schließlich konnte man so beim obligatorischen Picknic noch ein paar Mark sparen.

Ohne Stempel keine Plakette

Die Stempel dienten übrigens als Beweis dafür, dass die gesamte Strecke marschiert und die Plakette somit verdient worden war.

Die Plaketten aus Metall hatten immer einen direkten Bezug zu den Austragungsorten mit Abbildungen von Landschaften, Bergen und Stadtsilhouetten. Und es gab sie erst am Schluss, wenn man das vollständige Stempelheft präsentieren konnte. Wenn ich mich recht entsinne, war man mit 5 Mark je Plakette dabei. Mit der Zeit gab das eine ansehliche Sammlung, die an die Städte erinnerte, die den jeweiligen Marsch veranstaltet hatten. Dass das Hinfahren zum Veranstaltungsort mit dem Familien-R4 schlecht für die CO2-Bilanz war, war damals noch nicht bekannt. Man marschierte stets mit gutem Gewissen.

Wirtschaft und Wohltätigkeit im Einklang

Volksmärsche hatten auch eine wirtschaftliche Komponente. Sie förderten den lokalen Tourismus, da Teilnehmer oft aus anderen Regionen anreisten und in der Umgebung übernachteten. Dies brachte zusätzliche Einnahmen für lokale Hotels, Restaurants und Geschäfte. Zudem wurden oft regionale Produkte auf den Märkten angeboten, die im Rahmen der Veranstaltungen stattfanden.

Auch für Wohltätigkeit war gesorgt. Viele Veranstaltungen wurden genutzt, um Spenden zu sammeln. Dies reichte von der Unterstützung lokaler Schulen und Sportvereine bis hin zu größeren karitativen Projekten. Dadurch bekamen die Teilnehmer noch das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.

Die Volksmärsche in den frühen 70er Jahren

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