Ab wann haben früher Kinder angefangen, sich für Autos zu interessieren?
Ganz einfach. Ab dem Zeitpunkt, an dem sie so groß waren, dass sie durch die Seitenscheibe auf den Tacho schauen konnten. Ein beliebtes Spiel war das Vergleichen der dort angegebenen Höchstgeschwindigkeiten, die freilich immer über dem lagen, was die Autos tatsächlich konnten.
Ich erinnere mich noch gut an das erste Auto meines Vaters, selbst gekauft und teilfinanziert Anfang der 70er Jahre. Es war ein Renault R4. Und dieser R4 war ein ganz besonderes Auto. Er war billig, der damalige Kaufpreis lag bei etwas über 5.000 DM bei einem Durchschnittslohn von 20.000 DM im Jahr (1974). Und er hatte eine ganz besondere Gangschaltung mit einem sogenannten Revolverhebel neben dem Lenkrad, auch Krückstockschaltung genannt. Und er hatte nicht die üblichen Fensterscheiben zum Kurbeln, sondern Schiebefenster, die immer einen gewissen Kraftaufwand erforderten. Und man konnte durch ein Loch in der vorderen Stoßstange eine Kurbel in den Motorblock stecken und damit das Auto starten, wenn es mal nicht ansprang. Und zu guter letzt hatte der R4 mit seinen 4 Zylindern gerade mal 34 PS, mit denen er die 130 km/h, die der Tacho maximal anzeigte, eigentlich nie erreichen konnte. 3,66 m lang, 1,42 m breit und 1,47 m hoch brachte er gerade mal knappe 700 kg auf die Waage.

Bildzitat: Prospekt R4 aus den 70er Jahren – eigenes Bild –
Mit unserem R4 war der Tachovergleichswettbewerb leider nicht zu gewinnen. Und auch nicht mit dem VW Käfer 1200, der bei annähernd gleichem Preis und gleicher PS-Zahl auch keine höhere Geschwindigkeit in Aussicht stellte. Und erst recht nicht mit dem Citroen 2CV4, genannt „Ente“, dem lediglich 2 Zylinder und 23 PS zur Verfügung standen, was schon ein „Rasen“ mit 100 km/h schwierig machte. Noch schwächer auf der Brust war der ebenfalls legendäre Fiat 500, nicht zu verwechseln mit dem aktuellen Namensvetter. Der war mit seinen 18 PS so klein, dass man 4 Personen nur mit Gewalt hinein bekam.

Bildzitate: Quelle Fiat 500 und Citroen 2 CV4 Quelle Schmid Quartett “Autos”, wahrscheinlich 1973; Renault 4 und VW Käfer 1200 Quelle ASS Quartett “Deutsche Auto-Asse”, wahrscheinlich 1972
Eines hatten diese Autos immerhin gemeinsam: Sie waren einzigartig in ihrem Äußeren. Keiner hätte jemals einen Käfer mit einer Ente oder einem R4 verwechselt. Ecken und Kanten, verchromte Stoßstangen, keine Metallic-Lackierungen, wenig stromlinienförmig, im besten Fall mit einem Blaupunkt Autoradio ausgestattet. Das konnte das, was die Bezeichnung Autoradio verspricht: Radiosender spielen. Die besseren Varianten hatten ein Kassettenteil zur Beschallung mit eigener Musik. Diese Autos boten die mobile Freiheit für viele Familien mit wenig Geld damals, 2 Erwachsene und 3 Kinder haben (fast) immer reingepasst. Und wenn eine Stoßstange mal etwas ramponiert war, dann ging es nicht gleich ab zum Reparieren und Lackieren. Ein bisschen mit dem Hammer geklopft und gut war die Sache.
Für die technischen Daten der jeweiligen Autos gab es eine zuverlässige Quelle: die damals in vielen Varianten erhältlichen Autoquartette. 32 Karten mit Autoabbildungen (die zum Teil alles andere als professionell waren), 1 Deckblatt und 1 Supertrumpf – und das alles für 3 Mark 50. Die grossen Anbieter waren die Firmen F.X. Schmid und ASS. Mehrmals pro Jahr gab es neue Varianten der Quartette, die ganz einfach gespielt werden konnten. Die Karten wurden verdeckt verteilt, jeder kannte nur seine eigenen. Der, der beginnen durfte, bestimmte die Eigenschaft, um die gewettet wurde, z.B. die PS-Zahl. Dann legte er eine Karte auf den Tisch, deren Wert der Massstab für die Mitspieler war. Die konnten jetzt eine Karte ihrer Wahl auf den Tisch legen und die PS unter- oder überbieten. Der mit den meisten PS hatte damit die Karten dieser Runde gewonnen. Das ging auch so mit Hubraum oder Höchstgeschwindigkeit. Sieger war der mit den meisten Karten am Schluss.
Das Mittelfeld der am damals noch halb auf dem Gehweg parkenden Autos bildeten die typischen “kleinen” 4 Zylinder von VW, Opel, Ford, Fiat, Renault und Citroen, die man für weniger als 10.000 Mark kaufen konnte. Diese Autos waren auch recht selten Sieger im Tacho-Vergleichs-Wettbewerb.
Die Stars am Strassenrand waren die grossen 6 und 8 Zylinder der deutschen Hersteller. Ford punktete mit dem Consul, Opel mit dem Commodore und der KAD-Serie (Kapitän, Admiral, Diplomat), Mercedes und BMW mit einigen Modellen und natürlich Porsche mit dem 911er. Hier einige Preisbeispiele; zur Erinnerung: das durchschnittliche Jahreseinkommen in 1972 lag bei etwas über 16.000 Mark.
Opel Diplomat V8 Zylinder, 5354 ccm, 230 PS, 205 km/h, 25.000 Mark
Ford Consul GT V6 Zylinder, 2274 ccm, 108 PS, 170 km/h, 12.000 Mark
BMW 3,0 Si 6 Zylinder, 2985 ccm, 200 PS, 210 km/h, 24.380 Mark
Opel Commodore GS/E 6 Zylinder, 160 PS, 195 km/h, 16.000 Mark
Mercedes 350 SE V8 Zylinder, 3499 ccm, 200 PS, 210 km/h, 27.500 Mark


Bildzitate: alle Abbildungen Quelle Schmid Quartett “Autos”, wahrscheinlich 1972
Auch diese Autos konnte man leicht auseinanderhalten, jedes hatte sein eigenes Gesicht. Über den Spritverbrauch machte sich keiner Gedanken und die Autobahnen waren noch so leer, dass man das Gaspedal ganz durchdrücken konnte. Ja , das waren die 70er Jahre.
…welche waren Eure Favoriten?